Mittelstand auf der Flucht? Exodus

Es ist schade und alarmierend, dass jeder fünfte deutsche Mittelständler (22 Prozent) aktuell über einen Wegzug ins Ausland nachdenkt. 26 Prozent denken sogar an eine Betriebsaufgabe. Diese Zahlen stammen aus einer aktuellen Studie des BVMW (Bundesverband mittelständische Wirtschaft). Was ist da los?

Deindustrialisierung

Bei vielen Wirtschaftsverbänden wächst der Unmut über die aktuelle Politik der Bundesregierung. Einige sprechen sogar von einer absichtlich oder zumindest fahrlässig herbeigeführten Deindustrialisierung, die vor allem durch die hohen Energiekosten in Deutschland hervorgerufen wird. Die sind – so die Kritiker wie Prof. Fritz Vahrenholt - auch durch die Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerken mitten in der Krise und das gegenwärtige Merit-Order-System bei der Strompreisbildung verursacht.

Das Beispiel von Duravit aus Hornberg zeigt plastisch, worum es geht. Der Hersteller von Badkeramik mit einem Jahresumsatz von rund 700 Mio. Euro verbraucht in der Produktion 32.000 Megawattstunden Gas pro Jahr. Der Preis liegt in Deutschland aktuell bei 15-20 Cent pro Kilowattstunde. Das Unternehmen hat daher einem Bericht in der Wirtschaftswoche zufolge beschlossen, eine Fabrik im kanadischen Quebec zu errichten und die Produktion aus Nachhaltigkeitsgründen von Gas auf Strom umzustellen. Dort liegt der Preis bei unschlagbaren 3 Eurocent pro Kilowattstunde Strom, der zudem zu 90 Prozent aus Wasserkraft und zu 9 Prozent aus Windkraft kommt. 

Selbst wenn ein subventionierter Industriestrompreis käme, wäre er mit 6 Cent pro KWh noch doppelt so hoch wie in Quebec. Zudem bekämen nur große Unternehmen den Industriestrompreis, nicht aber mittelgroße und kleine Unternehmen, wie z. B. die Bäckerei. Diese Bevorteilung von Konzernen und Großunternehmen mit starker Lobby zieht sich auch durch andere Bereiche. 

Weitere Gründe

So beklagt der deutsche Mittelstand eine wachsende Bürokratie, die in Konzernen locker durch spezialisierte Stäbe aufgefangen werden kann. Beim Mittelstand entstehen jedoch überproportional hohe Kosten. Zudem wird wertvolle Zeit gebunden. Doch das ist noch nicht alles. In aktuellen Studien der Mittelstandsverbände oder Wirtschaftsinstitute (z. B. ifo) sind weitere Gründe für den Unmut der Unternehmer die hohen Abgaben, die marode Infrastruktur, der Fachkräftemangel, das erodierende Bildungssystem und die zunehmende Instabilität politischer Entscheidungen in Deutschland.

Wegzugshürden

Nicht alle Mittelständler können einfach so ihre Standorte verlagern. Viele liefern ausschließlich für den Binnenmarkt. Andere wiederum sind traditionell in ihren Regionen gebunden und geben nicht so schnell auf. Und dann gibt es als große Hürde auch noch die 2019 eingeführte Wegzugsbesteuerung, die 2022 durch die Ausweitung des Geltungsbereichs auch auf EU-Länder nochmals verschärft wurde. Wer aus Deutschland wegzieht und mehr als 1 Prozent Anteile an Kapitalgesellschaften hält, muss noch einen fiktiven Gewinn versteuern. Es wird dann so getan, als ob die Anteile zum Marktwert verkauft würden. Auch hierfür haben sich findige Steuerberater Gegenstrategien überlegt, wie z. B. der Anteilsverkauf oder die Umwandlung der Kapitalgesellschaft in eine KGaA.

Autor: Diplom-Ökonom Dr. Michael A. Peschke

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